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10800c/02/95/LA /
Bitte stets angeben
Erfurt, 16.11.2004

 
Staatsanwaltschaft Gera
Hainstraße 21

07545 Gera

vorab per Fax: 0365/8213600


Ermittlungsverfahren gegen Michael Engelhart u. a.
Ihr Zeichen:  840 Js 23398/04


Sehr geehrte Damen und Herren,

in vorgenannter Angelegenheit begründe ich die Beschwerde gegen den Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Erfurt vom 03.08.2004 wie folgt:

Die Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft Erfurt beruht offenbar nicht auf eigener Ermittlungstätigkeit. Zur Bearbeitung der Strafanzeige wurden allein die Ermittlungsakten Az.: 980 UJs 60028/02 und der Bericht der Gasser-Kommission herangezogen. Nachvernehmungen von bereits im Ermittlungsverfahren mit dem Az.: 980 60028/02 vernommenen Zeugen wurden nicht durchgeführt.

In bedeutsamen Fällen soll der Staatsanwalt den Sachverhalt selbst aufklären und die wichtigsten Zeugen selbst vernehmen. Dies ergibt sich aus Nr. 3 Abs. 1 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren. Obwohl in der Strafanzeige eine Vielzahl von Hinweisen auf erforderliche Nachvernehmungen von Zeugen enthalten war, wird in der angefochtenen Einstellungsentscheidung durchgängig auf die Ausführungen im Gasser-Bericht verwiesen. Eine derartige Verfahrensweise verstößt gegen das Prinzip der Gewaltenteilung und ist daher verfassungswidrig.

Bei der Gasser-Kommission handelt es sich um eine im Auftrag einer politisch gebundenen Landesregierung tätige Kommission, der keine Ermittlungsbefugnisse zustanden. Die Kommission hatte selbst ausdrücklich darauf verwiesen, dass sie nicht über staatsanwaltschaftliche oder kriminalpolizeiliche Ermittlungsbefugnisse verfügt und deshalb auf die freiwillige Kooperation der zur Aufklärung befragten Stellen und Behörden angewiesen war. Einige Personen aus dem nichtbehördlichen Bereich sowie ein Lehrer wollten gegenüber der Kommission keinerlei Angaben machen; der Staatsanwaltschaft gegenüber wären diese wichtigen Zeugen zu einer Aussage verpflichtet gewesen!

Nur nebenbei ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei den Mitgliedern der Gasser-Kommission nach den hier vorliegenden Kenntnissen um zwei Arbeitsrechtler, einen Verwaltungsrechtler sowie einen Wirtschaftsfachmann im Bereich der Wirtschaftskriminalität sowie dem damaligen Justizminister handelt. Der an die Kommission gerichtete Antrag des Kabinetts lautet, alle Vorgänge im Zusammenhang mit den Gesamtumständen am Erfurter Gutenberg-Gymnasium, „die derzeit in der Öffentlichkeit thematisiert werden", zu prüfen. Die juristische Aufarbeitung einer möglichen unterlassenen Hilfeleistung, Freiheitsberaubung und/oder Falschbeurkundung im Amt wurde seinerzeit in der Öffentlichkeit nicht thematisiert und folglich im Bericht auch nicht näher beleuchtet. Ebenso wenig thematisiert wurde die Prüfung der Strafbarkeit von Bediensteten des Landes oder der Stadt oder sonstiger Personen im Zusammenhang des Einsatzes.

In ihrer Einstellungsentscheidung hat die Staatsanwaltschaft das Ergebnis der Kommission übernommen, die eingangs ihres Berichtes ausdrücklich darauf verwiesen hatte, dass sie selbst nicht über staatsanwaltschaftliche oder kriminalpolizeiliche Ermittlungsbefugnis verfügt und deshalb auf die freiwillige Kooperation der zur Aufklärung befragten Stellen und Behörden angewiesen war. Damit wurde zwangsläufig auch die im Gasser-Bericht enthaltenen zweifelhaften oder fehlerhaften Feststellungen übernommen. Beispielhaft geht der Bericht davon aus, dass Frau Susann Hartung mittels zweier Patronenschüsse ermordet wurde. Das Ergebnis ist nicht nachvollziehbar und aus keinem der vorliegenden Dokumente begründbar. Aus dem Obduktionsbericht von Frau Susann Hartung ergibt sich, dass diese lediglich von einem Schuss getroffen wurde. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich hierbei um einen Schreibfehler oder einen Irrtum handelt. Das Beispiel zeigt, dass der von der Kommission verfasste Bericht offenbar wegen des auf der Kommission lastenden Zeitdruckes nicht unangreifbar ist. Allein bis zu einem mit der Kommission geführten persönlichen Gespräch des Unterzeichners ist der veröffentlichte Bericht wegen inhaltlicher Fehler viermal korrigiert worden.

Schließlich hat die Staatsanwaltschaft es nicht für erforderlich gehalten, zu ihrer Entscheidung die Protokolle der Gasser-Kommission beizuziehen. Mit Schreiben vom 24.09.2004 wurde dieser Umstand dem Unterzeichner mitgeteilt.

Die Staatsanwaltschaft geht auf die verschiedenen Vorwürfe des Unterzeichners überhaupt nicht ein, weder auf die Problematik der Unvollständigkeit der Ermittlungsakten noch auf die Nichtbeiziehung von Protokollen und Abschlussberichten, die sich im übrigen auch bis heute nicht in der Ermittlungsakte befinden.
Es ist nicht nachvollziehbar, wie der bearbeitende Staatsanwalt allein mit der Akte des ursprünglichen Strafverfahrens und dem Bericht der Kommission die Strafanzeige des Unterzeichners bearbeitet hat. Die Staatsanwaltschaft überlässt die Wertungen von Zeugenaussagen allein der Gasser-Kommission und übernimmt diese eins zu eins. Dass der Gasser-Bericht dabei Wertungen in den vorliegenden Aussagen vornimmt, ohne jedoch die jeweiligen Zeugen nochmals zu vernehmen und ohne zu erläutern, worauf sich diese Ergebnisse gründen, lässt die Staatsanwaltschaft im wesentlichen außer Betracht.

Eine Wertung der Telefonanrufe während des Einsatzes am 26. 4. 2002 durch den Staatsanwalt hat nicht stattgefunden. Es erscheint wenig plausibel, all die Zeugenaussagen, die nicht in den Kontext des Gasser-Berichtes passen, mit Traumatisierungen bzw. Wahrnehmungsverzerrungen und ähnlichem abzutun, ohne die Zeugen, deren Aussagen man als traumatisiert darstellt, zur Sache nochmals zu vernehmen. Es wäre Sache der Staatsanwaltschaft gewesen, diesem Problemkomplex vollumfänglich nachzugehen.

Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Staatsanwaltschaft in dem parallelen Verfahren 501 JS 29279/04 ausdrücklich ausgeführt hat, dass die Gasser-Kommission kein zur Mitwirkung am Strafverfahren berufenes Gremium ist, worin ihr im übrigen nur zuzustimmen ist.

Der Einstellungsbeschluss ist auch rechtsfehlerhaft, da die kritischen Feststellungen des Gasser-Berichtes zum Polizeieinsatz nicht gewertet wurden.

Dies gilt insbesondere für die rechtliche Relevanz, dass eine Führungsleitstelle sämtlicher am Einsatz beteiligter Kräfte nicht eingerichtet worden ist und die Problematik, dass die Gasser-Kommission trotz entsprechender Bemühungen erhebliche Zeitabschnitte mit Handlungen des Sondereinsatzkommandos und der Polizei nicht füllen konnte.

Dem Schema des angefochtenen Einstellungsbeschlusses folgend, wird zu den einzelnen Tatbeständen wie folgt Stellung genommen:


I. Unterlassene Hilfeleistung

Es ist nicht nachvollziehbar, wie die Gasser-Kommission und damit auch die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis kommt, dass keines der Opfer eine Überlebenschance hatte.

Hinsichtlich der Argumentation, dass auch eine vorhergehende medizinische Hilfe nicht das Überleben der Opfer gesichert hätte, ist festzustellen, dass die Gasser-Kommission hierzu zwar Aussagen trifft, diese aber letztlich für ein Strafverfahren nicht von Relevanz sein können und einer normalen staatsanwaltschaftlichen Ermittlung nicht entsprechen und schon gar nicht ihr standhalten.
Die Gasser-Kommission hat sich allein darauf beschränkt, die mit der Obduktion befassten Mediziner anzuhören und sich von diesen die Obduktionsberichte erklären zu lassen. Eine Beiziehung eines außenstehenden Mediziners oder Sachverständigen ist nicht erfolgt.
Lediglich hinsichtlich des Opfers Hans Lippe hat man den Leiter der chirurgischen Abteilung eines großen allgemeinen Krankenhauses, Herrn Prof. Dr. L., angesprochen, der die Unausweichlichkeit des Todes für plausibel hält. Plausibel ist gerade in diesem Zusammenhang allerdings auch, dass ein Opfer, das zwei Stunden ohne ärztliche Hilfe überleben kann, mit ärztlicher Hilfe nun eben gerade hätte überleben können.
 
Zudem wurde der Dipl. med. Schneider durch die Gasser-Kommission befragt. Ob der zitierte Satz aus dem Kontext gerissen wurde oder aber tatsächlich so zu verstehen ist, kann mangels Beiziehung des Anhörungsprotokolls von Herrn Schneider nicht nachvollzogen werden. Herr Schneider jedenfalls hat dem Unterzeicher gegenüber bekundet, dass er bis heute von einem Überleben der Kinder bis 13: 00 Uhr ausgeht.
Im übrigen handelt es sich nicht um ein Gutachten von Herrn Dipl. med. Schneider, vielmehr wurde er informatorisch zum Sachverhalt befragt. Von einer Begutachtung kann hier nicht die Rede sein.


Die Staatsanwaltschaft hat dieses Ergebnis ohne weitere Ermittlungen, insbesondere ohne Einschaltung von Fachkräften und Einholung von Sachverständigengutachten übernommen, ohne auch nur die, nicht öffentlich publizierten, Sonderberichte der Gasser Kommission zu den einzelnen Opfern hinzuzuziehen. Da die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Strafbarkeit zur unterlassenen Hilfeleistung im wesentlichen darauf abstellt, dass die Opfer keine Überlebenschance hatten, hätte sie hier nicht auf die medizinisch wohl kaum kompetente Gasser-Kommission pauschal verweisen dürfen, sondern hinsichtlich der einzelnen Opfer eigene Ermittlungen, insbesondere aber Rechtsmediziner mit der Überprüfung der Obduktionsberichte betrauen müssen. Da sie entsprechende Ermittlungen nicht vorgenommen hat, sich letztlich im Rahmen der Strafbarkeitsprüfung im wesentlichen auf die Unabwendbarkeit des Todes der einzelnen Opfer beruft, ist die Einstellung des Verfahrens auch an dieser Stelle rechtsfehlerhaft.


1) Susann Hartung, Ronny Möckel

Entgegen dem Ausgangspunkt der Staatsanwaltschaft fehlt es keineswegs an der tatbestandlichen Voraussetzung der Erforderlichkeit der Hilfeleistung. Der Einstellungsbeschluss geht davon aus, dass beide Schüler binnen kürzester Zeit nach den gegen sie erfolgten Schüssen verstorben sind. Hierbei bezieht sich die Staatsanwaltschaft im wesentlichen auf die Obduktionsbefunde des Institutes für Rechtsmedizin der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Eigene Ermittlungen diesbezüglich wurden nicht angestellt.

Die Staatsanwaltschaft beruft sich auch hierbei auf Unterredungen und Aussagen, die der Rechtsmediziner Herr Klein und die Lehrerin Frau Weber, wie auch der Dipl.-Med. Herr Schneider gegenüber der Gasser-Kommission gemacht haben, ohne die entsprechenden Protokolle beizuziehen.

Mit Schreiben vom 24. 09. 2004 hat die Staatsanwaltschaft in Gera gegenüber dem Unterzeichner bestätigt, dass neben dem Bericht ausschließlich die Beweismittel, die bereits in dem ursprünglichen Strafverfahren dokumentiert sind, hinzugezogen worden sind. Es ist festzuhalten, dass sich die Staatsanwaltschaft mithin hinsichtlich der Aussagen ausschließlich auf den Kommissionsbericht, also das Ergebnis der Gasser-Kommission bezieht.
Dieser ist aber gerade hinsichtlich des Opfers Susann Hartung falsch. Der Kommissionsbericht dokumentiert, die Schülerin Susann Hartung (Seite 176) sei von zwei Schüssen getroffen worden, von denen einer unter anderem die große Körperschlagader zerstörte. Tatsächlich, so stellen es sämtliche Ermittlungsakten und der Obduktionsbericht wie auch die ballistischen Untersuchungen des BKAs dar, wurde Susann Hartung lediglich von einem Schuss getroffen.

Auch die Aussagen der Schüler Heidrich, Heise, Pollak, Bigrud und Töpfer haben sehr wohl einen Beweiswert, da sie die Mitteilungen des Schülers Helbing aus eigener Kenntnis wiedergeben.
Dem Unterzeichner gegenüber hat Herr Dipl.-Med. Schneider mehrfach angegeben, dass er sich ein sofortiges Versterben nicht vorstellen könne.

Im übrigen ergibt sich aus den Feststellungen, dass eine Leichenstarre bei Auffindung der Opfer noch nicht vorhanden war, entsprechende Totenflecken nicht festgestellt werden konnten und dass auch bei Zugrundelegung jeder der durch die Kommission in Betracht gezogenen Theorien die Schüler mindestens noch eine halbe Stunde gelebt haben müssen. Dieser Schluss wurde von der Kommission nicht gezogen und sie geht hierauf genauso wenig ein, wie die Staatsanwaltschaft.

2.) Peter Wolff

Nicht nachvollziehbar und als rechtsfehlerhaft wird gerügt, dass die
Staatsanwaltschaft die Aussagen der Schüler als fehlerhaft und wahrnehmungsverzerrt angesehen und damit ohne weitere Beweismittelerhebung die Wertungen der Kommission übernommen hat.

Richtig ist, dass sämtliche Aussagen kritisch angesehen werden müssen.
Im Rahmen der Wertung dieser Zeugenaussagen hätte die Staatsanwaltschaft auch die seinerzeit erfolgte Vernehmungspraxis hinterfragen und berücksichtigen müssen. Es liegen mehrfach Vermerke vor, wonach Schüler sich im Rahmen ihrer Vernehmung durch die Polizei nicht ernstgenommen gefühlt haben. Gerade gegenüber den tätig gewordenen Psychologen haben verschiedene Schüler mehrfach erklärt, dass ihre Aussagen nicht vollständig wiedergegeben seien, insbesondere aber auch, dass man sich nicht ernstgenommen gefühlt hat. Die Schülerin Franziska Dettke hat dem Unterzeichner unmittelbar nach der Vernehmung gegenüber erklärt, dass sie letztlich nur froh war, aus dem Vernehmungszimmer herausgekommen zu sein und alles unterschrieben hätte, nur damit die Vernehmung ein Ende habe. Sie habe mehrfach auf verschiedene andere Aspekte hingewiesen (hier insbesondere hinsichtlich eines weiteren Täters). Der das Protokoll erstellende Beamte hätte dies schlicht nicht aufnehmen wollen. Sie habe dann irgendwann resigniert aufgegeben. Gleiches gilt für die Freundin, die mit ihr zur Vernehmung gegangen war. Im übrigen ist dies dem Unterzeichner auch von weiteren Personen immer wieder berichtet worden.

Wenn auch nur Einzelfälle, so lassen sie es aber gerade nicht zu, die ursprünglichen Polizeiprotokolle ohne weitere Ermittlungen eins zu eins mit dem Gasser-Bericht, ohne Beiziehung der Besprechungsprotokolle zu übernehmen.
Unabhängig davon wäre es Sache des Staatsanwaltes gewesen, sich ein eigenes Bild zu machen und damit auch ein eigene Haltung über die erfolgten Aussagen zu bekommen.

Zudem wird in diesem Zusammenhang durch die Staatsanwaltschaft nicht beachtet, dass die Zeugen Klinger, Dunkel, Haubner, Heim und Welcker wie auch Mattauch bekundeten, dass Herr Wolff nach den Einschüssen ansprechbar war und normal geatmet hat. Selbstverständlich kann von den Schülern nicht erwartet werden, dass sie sich auf einen exakten Todeszeitpunkt festlegen. Ob man mit dem Opfer noch gesprochen hat oder nicht, ist allerdings eine Aussage, die auch einem Schüler unter Stresssituationen zugemutet werden kann. Die benannten Schüler haben eindeutig erklärt, mit Herrn Wolff noch gesprochen zu haben. Dies widerspricht den Feststellungen des Obduktionsberichtes, wonach der Tod innerhalb kürzester Zeit eingetreten ist, mithin ist entweder der Obduktionsbericht fehlerhaft oder aber die Schüler fabulieren.  Warum eine Vernehmung der Schülerin Mattauch bis heute nicht erfolgte, ist nach wie vor nicht nachvollziehbar. Gerade ihre Aussage ist hinsichtlich der Feststellung des Obduktionsberichtes wesentlich, da durch die schriftliche Aussage ihrer Mutter feststeht, dass Herr Wolff nicht unmittelbar nach den Schüssen verstorben ist.


3.) Hans Lippe

Entgegen den Feststellungen der Staatsanwaltschaft war die Notärztin Frau Dr. Wirsing bereits im Hause. Die Feststellungen der Staatsanwaltschaft sind insoweit rechtsfehlerhaft und unvollständig, da  sie zudem übersehen, dass einzelne Polizeibeamte, insbesondere aber auch Frau Dr. Wirsing ungeachtet der Gefahrenlage dem verletzten Herrn Lippe helfen wollten, was ihnen durch die Polizeileitung, betreffend Frau Dr. Wirsing, aber  insbesondere durch den Polizeibeamten Koch verboten wurde.

Rechtsfehlerfrei ist die Feststellung, dass es Frau Dr. Wirsing nicht zuzumuten war, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Frau Dr. Wirsing wollte in Kenntnis der Gefahr für ihr eigenes Leben Hilfe leisten. Sie ist hiervon abgehalten worden, wofür es keine sachliche Grundlage gab. Frau Dr. Wirsing hat die Situation sehr wohl tatbestandlich korrekt eingeschätzt und nach Abwägung der Gefahr für ihr Leben dafür entschieden, dem um Hilfe rufenden Herrn Lippe helfen zu wollen. Genau diese Hilfeleistung wurde ihr untersagt, ohne dass es hierfür eine irgendwie geartete Rechtfertigung geben würde. Ein entsprechender Einsatz von Frau Dr. Wirsing hätte Herrn Lippe geholfen, zumindest aber dessen Leiden verringert. Ihre Hilfeleistung hätte weder den Einsatz noch eine andere Person gefährdet.
Eine Berücksichtigung dieses Aspektes durch die Staatsanwalt ist  nicht erfolgt.

Warum der Einsatz des Sondereinsatzkommandos in strafrechtlich relevanter Weise nicht zu beanstanden war, insbesondere auch hier keine unterlassene Hilfeleistung vorliegt, ist nicht nachvollziehbar. Aus den diesbezüglichen Feststellungen der Gasser-Kommission und den Verfahrensakten 980 Js 60028/02 finden sich hierzu keine Feststellungen.

Die Gasser-Kommission stellt allerdings auf Seite 271 ihres Berichtes fest, dass hinsichtlich des Einsatzes des Sondereinsatzkommandos vereinzelt Zeiträume verbleiben, die die Kommission nicht vollständig mit Handlung zu füllen oder zu erklären vermag. Auf welche Zeiträume sich dies bezieht, bleibt offen. Letztlich handelt es sich wohl um einen Zeitraum von über einer Stunde. In diesem Zusammenhang stellt die Gasser-Kommission fest, dass die zunächst auf der Toilette aufgefundene Munition sichergestellt werden musste. Warum dies durch ein Sondereinsatzkommando erfolgen musste, bleibt alleiniges Geheimnis der Gasser-Kommission, zumal nach den Zeugenaussagen der Polizeibeamten hierfür ein Polizeibeamter der Schutzpolizei  abgestellt wurde. Die Staatsanwaltschaft lässt auch dies außer Betracht.

Die Gasser-Kommission hat die Erklärungsansätze hinsichtlich des Versterbens von Herrn Lippe ausweislich des nichtöffentlich gemachten Zusatzprotokolls zu Herrn Hans Lippe nicht abschließend gewertet. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen steht es für die Kommission fest, dass die Verletzungen unumgänglich tödlich waren, auch wenn Herr Lippe einen Zeitraum weiterlebte, in dem er für alle, die Einblick in das Geschehen hatten, unglaubliche Überlebenskräfte mobilisiert hatte. Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang, dass keines der Kommissionsmitglieder medizinisch geschult ist oder über medizinische Fachkenntnisse verfügt.

Die mit der Obduktion befassten Mediziner haben die näheren Umstände des zeitweisen Überlebens von Herrn Lippe als ganz außergewöhnlich bezeichnet und der Bericht endet damit, dass die Gasser-Kommission konstatiert, dass die Überlebenszeit von Herrn Lippe an ein Wunder grenzt. Nicht auseinandergesetzt hat man sich mit der Frage, ob nach einem zweistündigen Weiterleben ein dauerhaftes Überleben nicht plausibel gewesen wäre. Ungeklärt ist auch, warum Obduzenten unmittelbar nach der ersten Obduktion von Herrn Lippe davon ausgehen konnten, dass er unmittelbar nach den Einschüssen verstorben sei. Durch den Unterzeichner als Bevollmächtigten von Frau Karin Lippe und der Erbin von Frau Dr. Dettke wurde mehrfach darum gebeten, mit den Obduzenten direkt sprechen zu können, um die Unklarheiten, die die Obduktionsberichte letztlich enthalten, wie auch die Punkte, die die Obduktionsberichte ausdrücklich offen lassen, zu klären.

Wenn denn alles derart unumgänglich gewesen ist, bleibt  unverständlich, warum bis zum heutigen Tag ein entsprechendes Gespräch, trotz Zusage durch die Gasser-Kommission, nicht ermöglicht wird. Dass der ermittelnde Staatsanwalt das Ergebnis der Gasser-Kommission ohne weitere Prüfung, insbesondere ohne Vorlage der Unterlagen an einen nichtbeteiligten Gerichtsmediziner oder eine medizinisch kompetente Person weitergibt, ist nicht nachvollziehbar.

Soweit im Einstellungsbeschluss davon ausgegangen wird, dass es den Schutzpolizisten nicht zuzumuten war, sich weiter im Hause zu bewegen, lässt die Staatsanwaltschaft unberücksichtigt, dass  PM Herr Löser sich frei in der Schule bewegte und bis zur 4. Etage kam, noch bevor das Sondereinsatzkommando im Hause war.

Nicht nachvollziehbar ist, warum der Staatsanwalt zu dem Ergebnis kommt, dass ein zeitigeres Erreichen von Herrn Lippe für die Beamten unter den gegebenen Umständen nicht möglich gewesen ist. Aus diesseitiger Sicht wäre es - nachdem Herr Lippe am Fenster gesehen worden ist - möglich gewesen, über das südliche Treppenhaus vordringlich nach oben zu gelangen. Ein entsprechendes Vorgehen hat es nicht gegeben. Insoweit sind die Feststellungen auf Seite 14 des Einstellungsbeschlusses  fehlerhaft und stehen im direkten Widerspruch zu der Feststellung auf Seite 13, wonach ein Team zügig zu Herrn Lippe vordringen wollte. Derartiges ergibt sich im übrigen weder aus den Ermittlungsakten noch aus dem Kommissionsbericht.

Entgegen der Feststellung der Staatsanwaltschaft ist die Struktur des Gebäudes relativ einfach. Hätte man sich entsprechend bemüht, wäre es ohne Frage möglich gewesen, der Schutzpolizei als auch dem SEK gegenüber die räumliche Situation im Haus darzustellen, dies vor allem durch die im Sekretariat befindlichen Lehrer oder auch durch außerhalb des Gebäudes wartende Lehrer. Mehr als irritierend bleibt, dass die im Kommissionsbericht über 100 Seiten minutiös festgehaltene Unübersichtlichkeit des gesamten Einsatzes jedoch keinen Einfluss auf die Taktik des SEK gehabt hätte, wie Herr Gasser im Rahmen der Pressekonferenz zum Kommissionsbericht ausdrücklich erklärte.

Letztlich kommt es auch darauf nicht an. Zumindest hinsichtlich des Opfers Hans Lippe steht fest, dass dieser zwei Stunden in seiner Qual alleingelassen wurde. Nach Rechtsprechung des BGH handelt es sich hierbei entweder um unterlassene Hilfeleistung oder aber um fahrlässige Körperverletzung durch Verlängerung der Schmerzen. Letzteres wurde bis zum heutigen Tage durch keines der Ermittlungsverfahren aber auch nicht durch die Gasser-Kommission untersucht.


4.) Frau Dr. Birgit Dettke

Die Feststellung der Staatsanwaltschaft, dass um 11: 35 Uhr Rettungsmaßnahmen durch drei Rettungsassistenten bei Frau Dr. Dettke durchgeführt worden sind, ist nicht nachvollziehbar.
Im Rahmen des Ergänzungsberichtes zu Frau Dr. Dettke wird lediglich festgestellt, dass der Rettungsassistent G. sich um 11: 45 Uhr bereits auf dem Hof befand.

Ungeklärt ist in diesem Zusammenhang nach wie vor die Einordnung des um 12:44 Uhr aufgezeichneten Gespräches zwischen der Rettungsleitstelle und dem Klinikum, wonach eine weibliche Person mit Bauchschuss eingeliefert werden sollte. Zu dem Zeitpunkt gab es keine andere aufgefundene weibliche Person als Frau Dr. Dettke. Dass eine Verwechslung zwischen männlich und weiblich gerade im Hinblick auf eine angebliche Verwechslung von Frau Dr. Dettke und Herrn Hans Lippe erfolgt sein soll, ist aufgrund derer Staturen schlicht ausgeschlossen.

Soweit die Gasser-Kommission davon ausgeht, dass die Bezeichnung Bauchschuss als Kennzeichnung für das Versorgen der Opfer eher gegen die Auffassung, es handele sich um Frau Dr. Dettke,  sprechen würde, mag darauf hingewiesen werden, dass der Rettungsassistent, auf den sich die Kommission stützt, im Rahmen seiner Stellungnahme gegenüber der Kommission eben auch von einem Bauchschuss sprach. Mithin ist davon auszugehen, dass die Rettungssanitäter erst unmittelbar vor der Bergung von Frau Dr. Dettke durch das SEK bei Frau Dr. Dettke waren und nicht bereits um 11: 35 Uhr. 

Im übrigen kann hinsichtlich der zeitlichen Vorgaben auf die Verschriftungen der Funkprotokolle nicht ohne weitere Prüfung zurückgegriffen werden. Bereits im Schreiben vom 19. 02. 2004 hat der Unterzeichner die Gasser-Kommission darauf hingewiesen und dies der Staatsanwaltschaft auch zur Kenntnis gegeben, dass die Verschriftung der Telefonnotrufe mit offensichtlich fehlerhaften Zeiten belegt sind. Dies ergibt sich insbesondere aus der Akte 18 a der Staatsanwaltschaft und dem Aktenvermerk vom 13. 01. 2003, worauf eine Überarbeitung der Verschriftungen erfolgt ist. Selbst nach der Überarbeitung ist es derzeit noch so, dass auf Kanal 2 um 11: 02 Uhr der Diensthabende über Apparat 124 bereits von einem Schuss auf Herrn Gorski Kenntnis hatte, obwohl Herr Gorski zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal am Tatort war. Eine Klarstellung und korrekte Einordnung der Funksprüche ist nach diesseitiger Kenntnis nicht erfolgt, insbesondere sind die offensichtlich archivierten Bänder nicht zu den weiteren Ermittlungen beigezogen worden.

Zudem sind die Protokolle zum Funkverkehr, die in der Ermittlungsakte vorliegen, unvollständig. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass Herr Förster in seinem Interview erklärt, es habe immer wieder Polizisten gegeben, die helfen wollten und durch einen Führungsstab hiervon mit dem Hinweis, das Objekt sei gesperrt, abgehalten wurden. Entsprechendes wurde in keinem der vorliegenden Verschriftungsprotokolle vermerkt, woraus zu schließen ist, dass nicht der vollständige Funk- und Telefonverkehr verschriftet worden ist. Darüber hinaus liegen Protokolle zum Funkverkehr des SEK überhaupt nicht vor. Worauf die Staatsanwaltschaft nun die Richtigkeit der angegebenen Zeiten gründet, ist nicht nachvollziehbar, da die vorhandenen Protokolle zumindest einen Fehler von etwa 10 bis 20 Minuten beinhalten.

Aus dem verschrifteten Gespräch um 11: 52 Uhr ergibt sich, dass zu diesem Zeitpunkt die Rettungssanitäter noch nicht bei Frau Dr. Dettke waren, vielmehr wird 12: 10 Uhr darüber informiert, dass die Person, also Frau Dr. Dettke, in greifbarer Nähe liegt. Eine Klärung ist nicht erfolgt.

Dies hätte durch eine einfache Frage an den Rettungssanitäter, in welcher Frist nach seiner Tätigkeit die Bergung erfolgt ist, geklärt werden können. Eine entsprechende Frage ist bis heute nicht dokumentiert.
In dem Ergänzungsbericht der Gasser-Kommission wird immer wieder darauf verwiesen, dass eine zeitliche Bestimmung nicht mehr konkret möglich sei.

Die Feststellung, dem PHM Engelhardt sei bereits aus subjektiven Gründen ein Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung nicht zu machen, da er nicht erkannt haben will, dass eine Person hilfsbedürftig gewesen sei, ist nicht nachvollziehbar. Der Zeuge Engelhardt hat eindeutig bekundet, dass der Täter auf ein auf dem Boden befindliches Ziel geschossen hat. In diesem Zusammenhang verkennt die Staatsanwaltschaft, dass es dem PHM Engelhardt problemlos zuzumuten gewesen wäre, seine Einsatzleitung auf die verletzte Person, zumindest aber darauf, dass der Täter auf ein Ziel am Boden des Schulhofes geschossen hat, hinzuweisen. Ein entsprechender Hinweis erfolgte zu keinem Zeitpunkt.

Darüber hinaus geht weder der Gasser-Bericht noch der Einstellungsbeschluss darauf ein, dass Herr Förster Frau Dr. Dettke keine 20 m von dem RTW entfernt hat liegen sehen. Herr Förster ist weder von der Gasser-Kommission noch von der Staatsanwaltschaft hierzu angehört worden. Wenn Herr Förster Frau Dr. Dettke unbehandelt auf dem Hof hat liegen sehen können, hätten dies die um ihn herum wartenden Polizeibeamten ebenfalls sehen können und auch müssen.


5.

Die allgemeinen Ausführungen zur Strafbarkeit von Einsatzkräften wegen unterlassener Hilfeleistung sind unzutreffend. Grundsätzlich ist es zutreffend, dass die Verpflichtung, bei Unglücksfällen die erforderliche Hilfe zu leisten, entfällt, wenn Hilfe von vornherein aussichtslos und offensichtlich nutzlos ist (Tröndle/Fischer, StGB, 52. Auflage 2004, § 323 c Rn. 4). Die im Schreiben der Staatsanwaltschaft auf Seite 2 insoweit herangezogenen Verweise auf die vorstehende Kommentierung und die BGH-Rechtsprechung ist jedoch unsauber und irreführend. Der Kommentar Tröndle/Fischer etwa ist nämlich nicht ohne Einschränkungen der Ansicht der sofortige Tod des Opfers setze der Hilfeleistungspflicht Grenzen. Vielmehr heißt es in der 52. Auflage von Töndle/Fischer zu § 323 c unter Rn. 4 wörtlich:

„Die Hilfe muss nach objektiv nachträglicher Prognose erforderlich sein. Die Pflicht entfällt, wenn sichere Gewähr für sofortige anderweitige Hilfe besteht oder wenn Hilfe von vornherein aussichtslos und offensichtlich nutzlos ist. Auf die Erfolgsaussichten der Hilfeleistung kommt es abgesehen von diesen Fällen nicht an, ebenso wenig auf die Folgen des Unterlassens, etwa, ob es die Lage des Verunglückten verschlimmert, oder dessen Tod letztlich nicht abzuwenden ist, denn der abgewendete Erfolgt wird dem Täter als solcher nicht zugerechnet. Sind mehrere Rechtsgüter bedroht, so beseitigt die Nutzlosigkeit des Handelns hinsichtlich nur eines Rechtsgutes die Pflicht nicht."

Danach ist die Erforderlichkeit der Hilfeleistung zwar in einer objektiv nachträglichen Prognoseentscheidung zu beurteilen, jedoch bestehen im vorliegenden Fall ganz erhebliche Zweifel daran, inwieweit die Hilfeleistung in den einzelnen Opferfällen von vornherein aussichtslos und/oder offensichtlich nutzlos gewesen ist. Insoweit ist in der Beschwerdebegründung jeweils auf einzelne Fälle einzugehen.

Ganz offensichtlich hat sich Herr Staatsanwalt Sauerbaum auch nicht mit dem Inhalt der von ihm zitierten BGH-Entscheidung BGHSt 14, 213, 216 auseinandergesetzt. Darin heißt es nämlich auf Seite 216 wörtlich:

„Eine Schädigung des Opfers tritt regelmäßig schon in Folge einer Verzögerung der Hilfe ein, weil dadurch die Lage des Verunglückten zunehmend verschlimmert wird. Hierbei kommt nicht nur die erhöhte Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit des Opfers in Betracht, sondern es müssen auch die Vermehrung und Verlängerung von Schmerzen berücksichtigt werden. Denn die Linderung der Schmerzen stelle keine bloße, mit einer wirksamen Hilfeleistung nur lose zusammenhängende Annehmlichkeit dar, die nicht ins Gewicht fiele. Will der Verpflichtete dem Gebot des § 330 c StGB (jetzt § 323 c StGB) genügen, muss er die zur Abwendung jeder Schäden wirksamste, also möglichst sofortige Hilfe leisten."

Und weiter auf den vorliegenden Fall durchaus anwendbar, heißt es in der zitierten BGH-Entscheidung ebenfalls auf Seite 216:

„Auch Cramer/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Auflage 2001, ist in Rn. 4 zu § 323 C StGB der Auffassung, die Tatsache, dass der Tod der Verletzten nicht abgewendet werden kann, schließe die Erforderlichkeit einer (ärztlichen) Hilfeleistung nicht unbedingt aus."

Im Rahmen der Ermittlungen hätte die Staatsanwaltschaft darüber eindeutig auch durch Hinterfragen der Obduktionsgutachten klären müssen, ob nach der von ihr selbst vertretenen Meinung eine Hilfeleistung noch erforderlich war. Entsprechende Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft nicht aufgenommen.

Auch hätte die geografische Lage der jeweils einzelnen Opfer in der Schule berücksichtigt werden müssen. Entsprechende Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hat es nicht gegeben. Nach diesseitiger Sicht stellt sich zumindest für Frau Dr. Dettke und die Opfer im Erdgeschoss und in der ersten Etage die durch die Staatsanwaltschaft dargestellte Bedrohungslage zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich dar. Eine entsprechende Auseinandersetzung hat die Staatsanwaltschaft nicht vorgenommen. Gerade im Hinblick auf das Opfer Hans Lippe ist offenkundig, dass die von der Polizei praktizierte Taktik falsch war. Der Polizei war aus eigener Kenntnis die Lage und Hilfsbedürftigkeit von Herrn Lippe bekannt. Unter Berücksichtigung dessen, hätte das Sondereinsatzkommando so in das Haus gelangen müssen, dass zunächst der Flügel, in dem Herr Lippe lag, geflutet worden wäre. Entsprechende Überlegungen stellt die Staatsanwaltschaft unter Verweis auf die unbedingte Richtigkeit des Gasser-Berichtes nicht an.

Die Staatsanwaltschaft  geht auch den Feststellungen der Gasser-Kommission nicht nach, dass ein Zeitraum des SEK-Einsatzes nicht mit Tätigkeit gefüllt werden kann. Entsprechende Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gibt es nicht, obwohl der gesamte SEK-Einsatz  durch den Gasser-Bericht nur unzureichend dargestellt wird. Die Kommission stellt zwar fest, dass die Bereitschaftsgruppe zeitnah um 11: 35 Uhr mit 6 Beamten präsent war. Wann jedoch der Einsatz begonnen worden ist und was bis 12: 40 Uhr, also 1 Stunde und 5 Minuten lang im Sinne erforderlicher Hilfeleistungen passierte, wird gerade im Hinblick auf Hans Lippe nicht dargestellt.  Die praktizierte Taktik wird nicht hinterfragt. Etwa, warum man nicht zuerst in das südliche Treppenhaus vorgedrungen ist. Weiter bleibt offen, wie viele SEK-Beamte an diesem Tag überhaupt Bereitschaft hatten, wann weitere SEK-Kräfte aus Sondershausen und Altenburg eingetroffen sind, wann die SEK-Beamten in das Gebäude eingedrungen sind und wie sie sich im Haus konkret bewegt haben. Nur mit einer entsprechenden Feststellung wäre überhaupt abschließend bewertbar, ob und inwieweit eine unterlassene Hilfeleistung durch die Polizeiführung vorliegt.


6. Freiheitsentzug der in der Schule festgehaltenen Personen

Soweit die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, dass eine andere Evakuierung als die durchgeführte nicht möglich war, ist ihre Argumentation in sich nicht schlüssig. Denn sie stellt in diesem Zusammenhang fest, dass eine Evakuierung über das gepanzerte Sonderfahrzeug nur mit jeweils 8 Personen, immerhin möglich gewesen wäre.
Wenn die Argumentation der Staatsanwaltschaft die ist, dass man von weiteren möglichen Tätern ausgegangen sei und für die in der Schule befindlichen Personen eine erhebliche Gefahr bestand, dann hätte man gerade mit der Evakuierung zunächst einiger Personen sofort beginnen müssen. Laut der Argumentation der Staatsanwaltschaft wusste keiner, ob der vermeintliche zweite Täter schwere Waffen oder gar Sprengstoff mit sich führt. Außerdem konnte man bis 14: 48 Uhr überhaupt nicht wissen, wann mit der Evakuierung überhaupt begonnen werden kann.
Vorausgesetzt also, eine Fahrt mit dem Sonderfahrzeug hätte jeweils 5 Minuten gedauert, hätte man in dem Zeitraum von 13: 00 Uhr, nämlich dem Auffinden des ersten Täters, bis zur tatsächlich erfolgten Evakuierung um 14: 48 Uhr bereits 168 Personen von etwas über 180 Personen durch das gepanzerte Sonderfahrzeug evakuieren können und damit deren Leid erheblich gemindert.

Gerade mit dem dargestellten Erkenntnishorizont hätte eine Zwischenevakuierung unverzüglich stattfinden müssen. Letztlich war zumindest im Erdgeschoss und in der ersten Etage ein freies Gehen möglich, was sich aus den bereits in der Strafanzeige geschilderten Umständen und dem Gasser-Bericht ergibt.


8. Vorwurf sonstiger Gesetzesverstöße

Die Verstöße gegen das Thüringer Rettungsdienstgesetz, des Thüringer Brand- und Katastrophenschutzgesetzes, insbesondere aber die Nichtbildung einer gemeinsamen Leitstelle stellten eine unterlassene Hilfeleistung im Sinne des § 323 c dar, weil damit letztlich ein organisiertes, korrektes Vorgehen der Polizei und Rettungskräfte, wie es genau diese Gesetze vorsehen, nicht gewährleistet war.

Aus diesen Vorschriften ergibt sich die Verpflichtung für das Land Thüringen und die jeweiligen Einsatzorganisationen, wie sie sich in derartigen Unglücksfällen zu verhalten haben. Die Beamten vor Ort, insbesondere aber die Führung von Polizei und Katastrophenschutz haben entgegen diesen Vorschriften gehandelt und damit die vom Gesetzgeber als notwendig erachtete Hilfe gegenüber den beteiligten Opfern, Schülern und Lehrern nicht geleistet.

Ausweislich der Feststellungen der Gasser-Kommission hat Herr Grube die Einsatzleitung zwar übernommen, dies aber nach außen zu keinem Zeitpunkt erkennbar gemacht. Der Einsatzleiter des Katastrophenschutzes, der aus diesseitiger Sicht entsprechend den gesetzlichen Vorgaben den Gesamteinsatz hätte führen müssen, hat sich nach eigenen Bekundungen als unzuständig erklärt und um die Peripherie des Geschehens gekümmert, nämlich Getränke beschlagnahmt. Er selbst, so die Feststellungen der Gasser-Kommission, hat 1 Ω Stunden die Einsatzleitung der Polizei gesucht und nicht gefunden.

Diesbezüglich hatten primär Herr Grube und Herr Görtz die Verpflichtungen entsprechende Leitstellen und eine zentrale gemeinsame Einsatzleitung einzurichten. Dies ergibt sich aus dem Thüringer Brand- und Katastrophenschutzgesetz sowie aus dem Thüringer Rettungsdienstgesetz.
Da diese eine entsprechende Leitstelle nicht eingerichtet haben, hätten  aufgrund der gesetzlichen vorgesehenen Aufsichtspflichten die vor Ort anwesenden Aufsichtsberechtigten besagte Stelle einrichten müssen. Hier namentlich der Oberbürgermeister der Stadt Erfurt, der Leiter der Polizeibereitschaft, Herr Roland Richter, und dessen Dienstvorgesetzte, Herr Staatssekretär Scherer. Keiner der genannten ist in irgendeiner Weise tätig geworden, was insbesondere unter Bezugnahme auf den Leiter der Polizeibereitschaft, der die Problematik aufgrund seiner täglichen Arbeit hätte kennen müssen, unverständlich bleibt.

Die Einrichtung einer solchen Einsatzleitung wäre erforderlich, sinnvoll und letztlich auch notwendig gewesen. Sie allein hätte das ordnungsgemäße Eingreifen der Polizei und der Rettungsdienste und eine entsprechende Koordinierung derselben überhaupt ermöglicht. Allein durch die Nichteinrichtung einer derartigen Einsatzleitung mussten Schüler über Gebühr in den Räumen verweilen, den Opfern kam eine, aus Sicht des Unterzeichners mögliche, frühere Hilfeleistung nicht zu gute.

Zu dem Zeitpunkt, als die Einsatzleitung hätte eingerichtet werden müssen, stand lediglich für die Opfer im Sekretariat wie auch für den Polizeibeamten fest, dass sie tatsächlich verstorben waren. Für alle übrigen Opfer waren entsprechende Feststellungen nicht getroffen. Sich nunmehr darauf berufen zu wollen, keines der Opfer habe eine Überlebenschance gehabt, banalisiert die ausmachbare Versagenskette der Verantwortlichen und ist darin eine seelische Zumutung für alle Angehörigen der Opfer.


9. Fehlerhafte Angabe in den Totenscheinen

Die Ausführungen der Kommission, wie auch die der  Staatsanwaltschaft lassen außer acht, dass sich aus der Ermittlungsakte eindeutig die Weisung von Herrn Staatsanwalt Scheler ergibt, dass in den Totenscheinen eine Zeit von 10: 58 Uhr bis 11: 30 Uhr einzutragen ist.
Herr Scheler war hierzu weder berufen noch legitimiert. Aus dem Protokoll ergibt sich eine vorherige Diskussion zwischen Herrn Dr. Heyderstedt und Herrn Scheler nicht.
Darüber hinaus ist die dienstliche Stellungnahme nicht Gegenstand der Ermittlungsakte geworden, sie ist nicht nachvollziehbar.

Die betroffenen Mediziner haben offensichtlich nicht aufgrund eigener Zuständigkeit und eigener Überzeugung die Totenscheine ausgestellt, sondern auf ausdrückliche Weisung der Staatsanwaltschaft Erfurt.

Herrn Scheler war aufgrund seiner Weisung und aufgrund des Akteninhaltes bekannt, dass die Totenscheine derart erstellt waren. Er hätte zumindest im Nachgang darauf hinwirken müssen, diese richtig zu stellen.

Den Rechtsmedizinern hätte spätestens durch die Nachfrage der Generalstaatsanwaltschaft klar werden müssen, dass der Sterbeschein für Herrn Lippe fehlerhaft erstellt worden ist. Sie hätten spätestens zu diesem Zeitpunkt die Änderung veranlassen müssen. Eine Änderung erfolgte erst im Oktober 2004 durch das Amtsgericht Erfurt zu Aktenzeichen 13 UR 28/04.


10. Vorwurf der Nichtverfolgung bekannter Straftaten

Wie vorstehend ausgeführt lagen bereits begangene Vortaten vor, so dass das diesbezügliche Ermittlungsverfahren nicht wegen Fehlen dieses Tatbestandsmerkmals hätte eingestellt werden dürfen.

Im Übrigen kann eine Strafbarkeit bereits bei fahrlässigen Verhalten vorliegen. Denn der Irrtum über die Tatbestände und das Fehlen des Wissens um die Tatumstände schließt zwar den Vorsatz aus, lässt aber die Möglichkeit einer Bestrafung wegen Fahrlässigkeit übrig (Kramer, Sternberg/Lieden § 16 Randnummer 4). Über eine Prüfung der Strafbarkeit wegen fährlässiger Körperverletzung findet die Staatsanwaltschaft keine Feststellung. Die Lehre geht weiter davon aus, dass bei Unterlassungsdelikten in Fällen der Unzumutbarkeit des Handelns bereits keine Verpflichtung zum Eingreifen besteht, handelt der Verpflichtete unvorsätzlich, wenn er irrtümlich glaubt, dass für ihn eine Handlungspflicht nicht besteht, sofern dieser Irrtum auf der Verkennung der tatsächlichen Elemente der Beurteilung der Zumutbarkeit beruht.

Entsprechend hätte die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung, fahrlässiger Körperverletzung und den fehlerhaften Angaben in den Totenscheinen einleiten müssen, selbst wenn man dann mit dem Einstellungsbeschluss davon ausgeht, dass die Strafbarkeit letztlich durch einen persönlichen Schuldausschließungsgrund nicht gegeben ist. Entsprechende Verfahren wurden nicht eingeleitet, eine entsprechende Strafbarkeit wurde weder im Ausgangsverfahren, noch aufgrund der Anzeige des Unterzeichners geprüft.

Im Ausgangsverfahren im übrigen wiederum auf Betreiben des ermittelnden Staatsanwaltes Herrn Scheler .

Der EKHK Herr Krause hat, für den Leiter der Kriminalpolizeiinspektion, den Umfang der aus seiner Sicht vorzunehmenden Ermittlungen und Ermittlungskomplexe mit Schreiben vom 04. 05. 2002 zusammen gestellt und dem zuständigen Staatsanwalt, Herrn Scheler, zustellen lassen.
Herr Scheler hat dieses Schreiben bearbeitet, die Ermittlungskomplexe in A bis L unterteilt und handschriftlich wörtlich hinzugesetzt „o.k. mit Ausnahme Ziffer )"  Die Ziffer ist auf dem hier vorliegenden Exemplar, das als Anlage beigefügt ist, nicht lesbar.

Festzustellen ist hier, dass außer dem Ermittlungskomplex J, den Herr Krause mit „Polizeieinsatz, Aufarbeitung der Handlung von Polizisten vor Ort zur Prüfung möglicher Anzeigen gegen die Polizei und Rettungsdienste" bezeichnet hat, sämtliche anderen Ermittlungskomplexe tatsächlich auch bearbeitet worden sind.
Zusätzlich festzustellen ist, dass eine notwendige Ermittlungstätigkeit gegen Polizei und Rettungsdienste aufgrund der Weisung von Herrn Scheler gar nicht aufgenommen wurde.

Nach alledem ist der Einstellungsbeschluss rechtsfehlerhaft, die Ermittlungen sind deshalb wieder aufzunehmen, insbesondere müssen Nachermittlungen geführt werden.

Mit freundlichen Grüßen

Eric T. Langer
Rechtsanwalt